Erfahrungsbericht Franz, 61. Rotation „Mission Siret“
Rund 16 Stunden hatte die Anreise von Hamburg über Dortmund zum Flughafen Suceava im Nordosten Rumäniens Mitte März gedauert; die Lokführer hatten wieder einmal gestreikt. Doch dann ging es reibungslos weiter. Mein Namensvater Franz, aktueller Teamleiter der 61. Rotation, stand schon wie versprochen am Ausgang und fuhr mich die knappe Stunde nach Siret.
Natürlich war ich gespannt: mit welchen Eindrücken würde ich nach den verabredeten knapp zwei Wochen mit ihren täglichen Einsatzfahrten in die von Russland brutal überfallene Ukraine zurückkehren nach Deutschland?
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Die täglichen Abläufe dieser Einsätze ähneln sich weitgehend, sind inzwischen fast zur Routine und in den bisherigen Erfahrungsberichten ausführlich beschrieben worden. Ich möchte mich deshalb hier auf die damit unweigerlich verbundenen emotionalen Aspekte beschränken. Natürlich verfolgen wir alle die täglichen Meldungen über das aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine und schwanken zwischen Empörung und ungläubigen Nichtverstehen. Aber zwischen Deutschland und dem überfallenen Land liegen rund 1500 Kilometer – eine Entfernung, die auf Dauer auch emotionale Distanz schafft. Ganz anders verhält es sich beim Erleben direkt vor Ort. Vom Krieg selbst ist in der südwestlichen Ukraine wenig zu spüren. Nur die vielen Soldaten – offenbar auf Fronturlaub – fallen in den größeren Städten ins Auge. Doch sobald man in Kontakt kommt mit den Menschen – und dazu hatten wir regelmäßig Gelegenheit – spürt man in den Gesprächen: fast alle haben in der Familie, im Freundeskreis ihnen Nahestehende, die an der Front kämpfen oder bereits gefallen sind. Das Wissen darum empfand ich persönlich als sehr bedrückend.
Besonders intensiv war dieses Gefühl der Betroffenheit, als wir mit einem Einsatz zu einem der inzwischen als Folge des Krieges neu errichteten Waisenhäuser in Czernowitz fuhren. Nachdem wir dort unsere Paletten mit Hilfsgütern abgeladen hatten, wurden wir eingeladen, uns dort umzuschauen und dabei auch in Kontakt mit den hier untergebrachten Kriegswaisen zu kommen. Das Besondere an diesem Waisenhaus: es ist erst vor kurzem mit Hilfe westlicher Firmen, darunter auch etlichen aus Deutschland, gebaut und großzügig ausgestattet worden. Zurzeit beherbergt es rund 60 Voll- und Halbweisen; ein Ausbau auf 300 Plätze ist vorgesehen.
Den meisten dieser Kinder scheint es den Umständen entsprechend gut zu gehen. Was mir aber bisher nicht bewusst gewesen war und erst jetzt in den Gesprächen dort realisierte: schon heute – und ein Ende des Krieges ist ja noch immer nicht abzusehen – ist die Anzahl der Kriegswaisen in der Ukraine auf über 100 000 Kleinkinder angestiegen. Man kann daher nur hoffen, dass großzügige Spendeninitiativen wie im Falle des von uns besuchten Waisenhauses in Czernowitz dazu beitragen, möglichst viele Menschen bei uns im Westen auch für dieses Problem zu sensibilisieren.
Eines war mit persönlich auf jeden Fall endgültig klar geworden, als ich am Ende meines Einsatzes für die „Mission Siret“ wieder im Flugzeug zurück nach Hamburg saß: für die Menschen in der Ukraine bleibt unsere Unterstützung nach wie vor bitter nötig - auf welche Weise auch immer das geschieht.