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April 2023 – ein Tag in der Ukraine

Ein Erfahrungsbericht von Franz, 35. Rotation

6.30 Uhr. Der Wecker klingelt. Schnell aufstehen, unter die Dusche und in die Arbeitsklamotten schlüpfen. So hatte ich mir meine Semesterferien ursprünglich nicht vorgestellt. Ich bin in Siret, einer Kleinstadt mit 8.000 Einwohnern im Norden Rumäniens, direkt an der Grenze zur Ukraine. Hier hat der Johanniterorden zusammen mit einem in der Region tätigen deutschen Landwirt im März vergangenen Jahres die „Mission Siret“ ins Leben gerufen. Seitdem haben rund 300 Freiwillige von dort aus humanitäre Hilfsgüter in die Ukraine geliefert.

Auch heute steht wieder eine Fahrt an. Unser zehnköpfiges Team trifft sich an der Lagerhalle mit unserer Ortskraft Ana-Maria. Sie spricht fließend Rumänisch, Ukrainisch und Englisch, kennt die Abläufe am Grenzübergang und hat die Kontakte in die Ukraine. Es gibt eine kurze Besprechung zu den Tagesaufgaben, zu letzten organisatorischen Details für die heutige Tour, und es wird sichergestellt, dass niemand von uns ein Handy dabei hat, denn diese müssen aus Sicherheitsgründen in Rumänien bleiben. Dann geht es los.

Heute fahren wir unsere Hilfsgüter im Konvoi von fünf Transportern, die wir am Vorabend gepackt hatten. Auf der Liste standen die verschiedensten Artikel, angefangen mit Mehl, Konserven und Müsli, über Rasierer bis hin zu Windeln in Erwachsenengröße. An der Grenze dauert es heute nicht lange. Es ist wenig los. So ist es leider nicht immer. Zu Beginn des Krieges war die LKW-Schlange bis zu 60 Kilometer lang und auch noch jetzt stehen die LKW viele Tage. Für PKW geht es zum Glück etwas schneller, Wartezeiten von mehreren Stunden sind aber dennoch nicht unüblich.

Nach der Grenze bemerken wir schnell, dass wir in einem anderen Land sind – einem Land, das vor allem von Armut geprägt ist. Die Straßen bestehen eher aus Schlaglöchern als aus Asphalt. 50 Jahre alte Ladas oder Pferdewagen sind keine Seltenheit. Der russische Überfall auf die Ukraine hat diese Situation noch verschärft. In der Region Czernowitz leben seit Ausbruch des Krieges jetzt doppelt so viele Binnenflüchtlinge wie vorher Einwohner.

Wir sind unterwegs in die Hauptstadt der Region im Westen der Ukraine. In Czernowitz übergeben wir einen Teil unserer Waren an Mitarbeiter einer Sammelstelle für humanitäre Hilfsgüter, diese werden die Waren dann in die Gebiete an der Front weiter transportieren und dort verteilen.

Nach getaner Arbeit erhalten wir plötzlich eine Nachricht: „Ihr seid jetzt noch herzlich zu einem Gespräch im Büro des Rektors der Universität Czernowitz eingeladen.“. Es geht durch die schöne Innenstadt in das Hauptgebäude der Universität –  einem Komplex, der auch zu Hogwarts aus den „Harry Potter“-Romanen gehören könnte. Seit dem Jahr 2011 zählen die von Josef Hlávka entworfenen Gebäude zum UNESCO-Welterbe.

In dem imposanten Büro des Rektors erhalten wir als Dank für unsere fortwährenden Hilfslieferungen ein Geschenk. Ein Jubiläumsgeschenk zum einjährigen Bestehen der Mission Siret. Auch wenn der Anlass zur Gründung dieser Mission kein schöner war und unsere Hilfe oftmals nur einen verhältnismäßig kleinen Beitrag leisten kann, versichert er uns, dass unsere Unterstützung eine psychologische Bedeutung hat. Den Menschen vor Ort zeigen, dass sie nicht vergessen worden sind, das sei unser größter Verdienst.

Auch bedankt er sich für den „langen Atem“ der Hilfsaktion – auch das sei nicht selbstverständlich. Waren im letzten Jahr noch mehrere dutzend Hilfsorganisationen in der Region aktiv, sind es jetzt nur noch fünf, die regelmäßig in die Ukraine liefern. Wir bekommen noch eine kleine Führung durch die Universität und müssen dann auch schon los, denn wir haben noch einen weiteren Stopp auf unserer Route.

Wir brechen wieder auf und nach circa einer Stunde Fahrt biegen wir plötzlich auf einen einfachen Feldweg. Wir wissen, dass wir auf dem Weg zu einem Krankenhaus sind, ahnen aber nicht, dass das unscheinbare Haus am Wegesrand schon das Krankenhaus ist.

Wir laden zuerst wieder Paletten mit Lebensmitteln, Hygiene-Produkten und medizinischen Material neben einer Garage aus. Dann geht es direkt in das Krankenhaus, denn unsere an diesem Tag wertvollste Fracht ist noch im Transporter: drei Ultraschallgeräte, gespendet aus Deutschland.

Ehe wir uns versehen, haben wir Überzieher an unseren Schuhen und stehen mitten auf einer Station. Wir stellen die Ultraschallgeräte ab und bekommen auch hier noch eine Führung über den Flur. Anders als in der Universität fühlen wir uns aber diesmal nicht wohl. Die Station ist voll belegt mit verwundetet Soldaten, etwa so alt wie wir. Sie liegen in den Betten mit ihren Verletzungen und leeren Blicken.

Die kurzen Besuche in den Zimmern lassen nur erahnen, was diese jungen Männer in den letzten Monaten durchgemacht haben müssen. Später erzählt uns die Schwester von den einzelnen Schicksalen, betont aber auch, wie wichtig den Männern der kurze Kontakt zu uns war.

Wir machen uns auf den Rückweg nach Rumänien. An unserer Lagerhalle angekommen werden die Listen für den nächsten Tag herausgeholt und neue Paletten gepackt. Auch diesmal werden wir wieder nur 70 % der eigentlich geplanten Mengen stapeln können, denn es fehlen Spendengelder.

Nach dem Packen der Paletten und Beladen der Transporter für den nächsten Tag verbringen wir den Abend, wie immer, gemeinsam. Zusammen kochen und viel reden, vor allem über die Erlebnisse des Tages mit all seinen Höhen und Tiefen.

Eines wird dabei wieder allen klar: Unser Einsatz wird benötigt, er hängt aber vor allem von der Unterstützung aus Deutschland ab.

Gerne können Sie unsere Arbeit in Form von einem Freiwilligendienst vor Ort (Kontakt über E-Mail: freiwillige.siret@gmail.com) oder mit Sach- und Geldspenden (johanniter.siret@gmail.com) unterstützen. Weitere Informationen finden Sie auf Instagram unter @missionsiret und im Internet auf www.missionsiret.de, unser Spendenkonto lautet:

Westfälische Genossenschaft des Johanniterordens
IBAN: DE52 4944 0043 0320 0060 02
BIC: COBADEFFXXX
Verwendungszweck: Siret